So was wär' mir nie passiert

Hier diskutiert das GdW öffentlich. Für interessierte Besucher besteht hier die Möglichkeit zur Teilnahme. Eine Registration ist erforderlich

Moderator: Forenteam

Antworten
Sonnerl
Beiträge: 637
Registriert: 17.03.2008, 20:39

So was wär' mir nie passiert

Beitrag von Sonnerl » 10.02.2009, 19:48

Derzeit wird sehr viel über Leute gesprochen, die den Holocaust verleugnen, runterrechnen, politisch einsetzen, als Rechtfertigung für ihre eigenen Verbrechen verbiegen etc. etc.

Nicht vergessen sollte man die Leute, die behaupten: "Mir wäre das nicht passiert" "Ich hätte mich nie als KZ-Aufseher zur Verfügung gestellt" "Ich wäre nie zur HJ oder SS gegangen" und bei der Stasi hätte ich auch nie gearbeitet...nie im Leben würde ich jemand denunzieren :D oder gar im TO-Forum löschen lassen.

Für mich sind diese Leute gleichzusetzen mit den Holocaustverleugnern.

Ich möchte mich selbst davon nicht ausnehmen, da ich zwar unumwunden behaupte, in inbrünstiger Überzeugung, daß ich sowas niemals nie nicht tun würde. Ich bin felsenfest der Überzeugung ich wäre unter keinerlei Umständen, meinetwegen 1941 Wehrmachtssoldat, SS-Mitglied oder gar KZ-Aufseher geworden.
Dieser meiner Behauptung bin ich solange nachgehängt, bis ich, ich glaube es war in den 80ern, im Fernsehen eine deutsche Fassung des "Milgram-Experimentes" sah.

Jedem der glaubt, daß er nicht zum töten und morden geeignet ist empfehle ich diesen Clip anschauen:

http://www.youtube.com/watch?v=CHs6xVq8 ... re=related

Es lohnt sich wirklich diesen Clip anzusehen - auch wenn man nicht ausreichend "english" versteht.

Es gibt auch eine Art nachgestellter Spielfilmfassung dieses Experiments in deutsch:

http://www.youtube.com/watch?v=88YJTg1nETk

Wie gesagt - ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß ich nie den Gashahn in Auschwitz aufgedreht hätte ... - dabei habe ich es nicht einmal geschafft, den Wehrdienst zu verweigern, obwohl dies meiner Überzeugung entsprach und noch heute entspricht.

Gruß Sonnerl

Sonnerl
Beiträge: 637
Registriert: 17.03.2008, 20:39

Beitrag von Sonnerl » 10.02.2009, 21:21

Einen hätt ich doch gerne noch nachgeschoben....


http://www.youtube.com/watch?v=I3AbOZVk ... re=related

nicita
Beiträge: 1704
Registriert: 22.07.2007, 15:54

Schwierig

Beitrag von nicita » 10.02.2009, 23:33

dieses Thema. Es gab viele - auch damals - die keine Hähne aufgedreht hätten.

LG
nicita

Sonnerl
Beiträge: 637
Registriert: 17.03.2008, 20:39

Beitrag von Sonnerl » 10.02.2009, 23:59

Hai Nicita,

schwierig? Nein!

Bei dieser Experimentenreihe, die an verschiedenen Uni's weltweit durchgeführt wurde gab es sogar ausgebildete Lehrer die erst bei 300 Volt eine Krise bekamen...und trotzdem weitermachten...

Die, die Hähne nicht aufgedreht hätten - oder/und würden - sind zwar dick gesät aber dünn aufgegangen!

Gruß Sonnerl

fjarill
Beiträge: 87
Registriert: 22.07.2007, 15:34

Ein wirklich schweres Thema

Beitrag von fjarill » 11.02.2009, 15:02

Aber ich denke auch, dass wir uns alle kaum davon ausnehmen können, im Falle eines Falles "mitzumachen". In welch vermeintlich geringem Ausmaß auch immer.

Mich erinnert das an das Experiment "die Welle / the third wave", einem Sozialexperiment zur Demonstration faschistischer Bewegungen, das 1967 von dem Geschichtslehrer Ron Jones zusammen mit Schülern und Lehrern an der Cubberly-Highschool in Paolo Alto (Californien) durchgeführt wurde. Auslöser waren Aussagen in der Klasse, dass Verhaltensformen des Nationalsozialismus „bei uns nicht vorkommen könnten“.
Die Schüler wurden in dem Experiment organisiert, bekamen "Rollen" zugeteilt und wurden Einschränkungen unterworfen; Verhaltensnormen wurden aufgestellt und streng durchgesetzt. Ursprünglich für einen Tag vorgesehen, lief das Experiment über fünf Tage.

Aufgeschreckt durch die Leichtigkeit, mit der die Schüler sich vereinnahmen und manipulieren ließen, brach Ron Jones das Experiment abrupt ab, indem er in einer Schulversammlung den begeisterten Anhängern der „Dritten Welle“ einen direkten Vergleich mit Jugendorganisationen im nationalsozialistischen Deutschland vorführte.

=> http://www.thewave.tk/

Ein ähnliches Experiment wurde 2007 in Texas durchgeführt und geriet auch dort völlig außer Kontrolle: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,15 ... 13,00.html


Zu diesem Experiment gibt es ein Buch und einen Film, der übrigens im letzten Jahr mit Jürgen Vogel für´s Kino neuverfilmt und an Deutschland adaptiert wurde (http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Welle_(2008) ). Was mir zu denken gibt ist der Umstand, dass diese Kinoveröffentlichung irgendwie scheinbar untergegangen ist, oder ?
http://einestages.spiegel.de/static/top ... _tage.html


Ich glaube, selbst wir sollten uns alle nicht davor gefeit denken, solch extremen, gruppendynamischen Ereignissen wirklichen Widerstand entgegensetzen zu können. Dabei wirken Mechanismen, denen man sich selbst dann meist nur schwer entziehen kann, wenn man sie kennt.
Hierzu sollte man durchaus auch das Milgram-Experiment kennen, anhand dessen die Bereitschaft durchschnittlicher Personen getestet wurde, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen : http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment


Erschreckend, gelle ?


LG,
fjarill

Sonnerl
Beiträge: 637
Registriert: 17.03.2008, 20:39

Beitrag von Sonnerl » 11.02.2009, 19:06

Hai fjarill,

ich kenne die Welle natürlich - das Original. Meine Kidis haben die Neuverfilmung geguckt. Auf meine Empfehlung hin. Nun ja - die Reaktion war eher Verhalten bis "ganz nett". Muß man verstehen. Die Kidis in den 80er und 90er geboren, tamagotschi- und nintendogeprägt haben zum 1000jährigen Reich ungefähr die gleiche Beziehung wie ich zum 30jährigen Krieg. Auch wenn man dem Opa in Afrika den Arsch und in Ostpreußen den linken Unterschenkel weggeschossen hat können die Meisten keinen Bezug mehr herstellen.

Gruß Sonnerl

nicita
Beiträge: 1704
Registriert: 22.07.2007, 15:54

Ich glaube schon, dass auch diese

Beitrag von nicita » 11.02.2009, 20:15

Jugendlichen einen Bezug herstellen können. Heute gibt es ja kaum jemanden, der diese Zeit wirklich miterlebt hat, und dennoch lässt sich der Bezug herstellen.

Ich habe "die Welle" auch als Jugendliche gelesen. Die Dynamik lässt sich sehr gut nachvollziehen. Daher bin ich auch der Ansicht, dass sich keiner selbst in solch einer Situation real einschätzen kann. Darüber lässt es sich auch nicht mutmaßen.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Experimente, über die Paul Watzlawick schrieb... wieviel es braucht, damit ein Mensch "umfällt" und sich der Masse beugt, weil er seinen eigenen Maßstäben nicht mehr traut. --> so viele können doch nicht falsch liegen! Allerdings gibt es demnach auch immer Menschen, die dennoch auf ihrem Wertesystem und ihre Wahrnehmung beharren. Das sind dann die "Verrückten", die sich der Masse nicht unterordnen.

Ich halte dieses Thema für schwierig, weil ich glaube, dass die Sozialisation eines Menschen größeren Einfluss darauf hat, wie er Dinge einschätzt. Gleichwohl wird jede Gesellschaftsform auch ihre "Druckschalter" haben, über die der einzelne Mensch dann "funktioniert".

LG
nicita

PS: Sehr beeindruckt hat mich als Kind übrigens das Buch "als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Ich glaube schon, dass sich für Kinder und Jugendliche ein Bezug herstellen lässt.

Sonnerl
Beiträge: 637
Registriert: 17.03.2008, 20:39

Beitrag von Sonnerl » 11.02.2009, 20:57

Hai Nicita,

nicht damit du mich falsch verstehst. Natürlich können die Kidis einen Bezug herstellen. Ich meine halt damit - nicht so wie z.b. meine Generation oder die meiner Eltern.
Das Milgram-Experiment oder auch die Welle z.B. haben sich bei mir tief in die Seele geschnitten und haben, sagen wir mal meine Grundeinstellung für das Leben geprägt. Ich brauchte seinerzeit ein paar Tage um die Sache zu verdauen.
Unsere Kinder nehmen sowas einfach wohlwollend zur Kenntnis und wenn man Glück hat mit der Anmerkung: Ja toll. Schön! Nächster Film....


Gruß Sonnerl

Antworten